Kurzer Überblick und Vorgeschichte:
Am 13.10.1912 heiratete meine Großmutter Anna Elise Matz, *19. April 1889 in Packerau/Tharau, Kreis Preußisch Eylau Karl Thiel *15. Februar 1886 in Schnakeinen/Kreuzburg, +26. April 1933 in Landgut mit Vorwerken bei Kissitten/Kreuzburg, Kreis Pr. Eylau an Lungentuberkulose. Im 1. Weltkrieg erhielt er einen Steckschuß in die Lunge, wohl durch ein Bajonett.
Am 6. November 1911 wird bereits der erste Sohn des Paares, Gustav Thiel in Packerau geboren. Ihm folgen die Brüder Ernst *04.06.1920 Ernst, der in Schnakeinen geboren wird. So wie Horst der dort am 14.September 1928 zur Welt kommt.
Nach dem Tod von Karl verwaisen die Kinder. Trotz der kriegsbedingten Verletzung meines Großvater, die wohl seinen Tod bedingte, erhielt Anna keine sogenannte Invalidenrente. Sie war überhaupt nicht versorgt und musste zudem die Kinder ernähren. Sie zogen über Land, bis sie eine Anstellung erhielt und wurden weggeschicht, so bald die Arbeit erledigt war. Unvorstellbar. Sohn Gustav war aber alt genug und arbeitete früh als Landwirt. Er unterstützte die Familie.
Die beiden ältesten Brüder wurde in den 1930ern und 1940ern von der Wehrmacht eingezogen. Gustav kam von der Ostfront nicht zurück. Mein Vater Ernst wurde verwundet, war dann wieder einsatzfähig. Durch die schwere Verletzung aber nur bedingt, er ging an Holzkrücken.
Anna war mit Horst in Aue. Sie und Ernst arbeiteten nun fest beim Landwirt Kollien in Schnakeinen. Anna, Ernst und Horst wohnten dort in einem Leutehaus.
Im Januar 1945 hatte Ernst Heimaturlaub und Horst war krank zuhause. Es folgten Arztfahrten, die er nun mit dem 17 jährigen Bruder unternahm. Er wusste, dass die Front schon nahe Kreuzburg war. Wohl durch die Verletzung hatte er einen Passagierschein erhalten und wollte über Pillau per Schiff in den Westen. Die Mutter und der Bruder wollte er abholen und mitnehmen.
Anna lehnte das ab, wohl weil sie sich um den kranken Horst sorgte. Noch im Januar stand es von der Kommandantur der Region unter Strafe, sich zu entfernen.
Der Kanonendonner kam schnell nach Kreuzburg und mit ihm die Soldaten der Roten Armee. Nun kümmerte sich niemand mehr um die Strafandrohung. Wehrmachts Soldaten kamen und forderten die Menschen zu Flucht auf.
Dazu ein Augenzeugenbericht aus Kreuzburg, rund 3 Km von Schnakeinen entfernt.
Im Oktober 1944 hatte der Russe bereits Ostpreußen bis Goldap besetzt und blieb dort bis 12. Januar 1945 stehen. Inzwischen hatte er einen gewaltigen Nachschub erhalten.
Dann aber ging der Marsch, ohne von unseren Soldaten viel aufgehalten zu werden, schnell weiter. Unser Städtchen füllte sich sehr schnell mit Kampftruppen. Eine Flucht beizeiten wurde durch die Partei verhindert. Es wurde den Bewohnern erzählt, das der Feind noch sehr weit war.
Zu jedem Städtchen wie auch Ort waren Kommandanturen [eingesetzt], welche jedoch die Gefahr abstritten und zum Teil unter Alkohol standen.
In der Nacht von Sonntag zu Montag, also am 28. auf 29. Januar `45 kam eine neue Kommandantur.
Die sagten dann gleich unserem Bürgermeister Höpfner Bescheid, das die Stadt sofort geräumt werden soll. Als ich am Freitag nach meinem Büro am Markt ging war der ganze Marktplatz voller Flüchtlingswagen mit Menschen, welche aus der Gegend um Uderwangen waren. Nach meinem Befragen sagten sie, der Russe sei schon dort. Er raubte und mordete und zündete sämtliche Gebäude an.
Auch Anna folgte dem. Sie packte ihre Sachen auf ein Pferdefuhrwerk. Es war klirrend kalt und eine weiße Eisdecke bedeckte das Land, als sie mit Horst auf den Treck ging. In ihren Briefen an Ernst schildert sie ihre Flucht nur anteilig. Die genaue Route bleibt also verborgen.
Sie beschreibt aber ihre Flucht über das Haff. Der Strand wurde bombadiert und unten gab das Eis den schweren Pferdewagen und Menschenmassen nach. Wir haben gelesen von den vielen ins Eis eingebrochenen, umgekippten Wagen, den ertrunkenen Menschen.
Ich fragte einmal eine Tochter des Landwirtes Kollien, Erika. Wie konnte es sein das meine Oma als einfache Deputantin ein Pferdefuhrwerk zur Verfügung hatte? Sie erklärte es so: Die Kollien Familie und meine Großmutter mit Horst flohen nicht im Treck. Sie flohen getrennt von einander. Erika hielt es für möglich, Anna habe sich die Pferde kurzentschlossen vom Hof geholt und angespannt. Es herrschte totales Chaos und Panik. Alle wollten weg und jeder kümmerte sich um sich selbst.
Gut, dass Anna das gemacht hat, überlege ich. Sie konnte Betten, Lebensmittel und Kleidung mitnehmen.
Oben die Skizze von Schnakeinen. Die kleine Gemeinde mit ca. 232 Einwohnern im Jahr 1939, lag rund 1,5 Km von der Stadt Kreuzburg im nördlichen Kreis von Preußisch Eylau entfernt.
Die Skizze wurde von Elsbeth, geborene Wiechert aus Schnakeinen gezeichnet. Sie besuchte den Heimatort in den 1990ern und fand vier Häuser und viel Wildnis. Der Keygster-Fluß bot etwas Orientierung zur Lage der ehemaligen Gebäude. Auch zum Wohnhaus von Elsbeth und Bruder Fritz Wiechert, Am Ziegenmarkt.