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Anna´s Flucht _Ostpreußen - Aue

1. Teil_Von Schnakeinen nach Stolpmünde


Dies ist ein Ausschnitt; ein Teil aus dem Leben meiner Großmutter Anna Thiel, die in Nord-Ostpreußen bei Tharau geboren wurde. Es ist ihre Fluchtgeschichte, die so ähnlich vieler anderer ist. Der Flucht schloß sich erneut von Stolpmüde nach Aue dann ein nicht ganz freiwilliger Ortswechsel an.

Dies ist die..

 

Vorgeschichte

 

Heiratsdatum meiner Großeltern. Tharau: 13.10.1912. Meine Großmutter Anna Elise geb. Matz *1889 in Packerau/Tharau, Kreis Preußisch Eylau heiratet Opa Karl Thiel *15. Februar 1886 in Schnakeinen/Kreuzburg. Er stirbt 26. April 1933 auf dem Landgut Kissitten/Kreuzburg, Kreis Pr. Eylau an Lungentuberkulose. Im 1. Weltkrieg erhielt er einen Steckschuß in die Lunge, wohl durch ein Bajonett. 

 

Am 6. November 1911 wird bereits der erste Sohn, Gustav Thiel in Packerau geboren und in Tharau getauft. Ihm folgen die Brüder Ernst *04.06.1920, der in Schnakeinen geboren wird. Dann kommt Horst, ebenfalls in Schnakeinen, am 12.09.1928 zur Welt. 

 

Nach dem Tod von Karl schlägt sich Oma Anna mit ihren nun halbwaisen Kindern durch. Sie erhält keine Trotz der kriegsbedingten Verletzung meines Großvater, die wohl seinen Tod bedingte, erhielt Anna keine sogenannte Invalidenrente. Sie war überhaupt nicht versorgt und musste zudem die Kinder ernähren. Sie zogen über Land, bis sie eine Anstellung erhielt und wurden weggeschicht, sobald die Aufgaben erledigt waren. Sohn Gustav war aber alt genug und arbeitete früh in der Landwirtschft. Er unterstützte die Familie.

Er wurde 1936 zum Militärdienst eingezogen. und sein Bruder Ernst in den 1940ern von der Wehrmacht eingezogen. Gustav kam von der Ostfront nicht zurück. Mein Vater wurde verwundet, war dann wieder einsatzfähig. Durch die schwere Verletzung aber nur bedingt, er ging an Krücken. 

 

Im Januar 1945 hatte Ernst Heimaturlaub; Bruder Gustav wurde seit 1944 in Chișinău, Bessarabien,  vermisst. Horst (16) war erkrankt. Es folgten Arztfahrten, die er nun mit dem 17 jährigen Bruder unternahm. Er wusste, dass die Front schon nahe Kreuzburg war. Wohl durch die Verletzung hatte er einen Passagierschein erhalten und wollte über den Hafen Pillau per Schiff in den Westen. Die Mutter und der Bruder sollten mit ihm kommen.

 

Anna lehnte das ab, wohl weil sie sich um den kranken Horst sorgte. Noch im Januar stand es aber für die Bevölkerung auch unter Strafe, auf die Flucht zu gehen.

Die Trecks der Flüchtenden berichten von der Front bei Uderwangen, was schon im Kr. Pr. Eylau lag. Auch aus Goldap kommend flohen die Menschen durch Kreuzburg.

Der Kanonendonner kam schnell zur Stadt und mit ihm die Soldaten der Roten Armee. Heiligenbeil wurde von den feindlichen Truppen eingekesselt. Einkesselung bedeutete wohl soviel, das sie von allen Seiten kamen und Land gewannen. Nun kümmerte sich niemand mehr um die Strafandrohung. Wehrmacht Soldaten kamen und forderten die Menschen zur Flucht auf.

 


Ausgangspunkt der Flucht für Papa, Oma Anna und Sohn Horst war Schnakeinen. Die kleine Gemeinde mit ca. 232 Einwohnern im Jahr 1939, lag rund 1,5 Km von der Stadt Kreuzburg im nördlichen Kreis von Preußisch Eylau entfernt. 

Die Skizze wurde von Elsbeth, geborene Wiechert aus Schnakeinen gezeichnet. Anders als hier dargestellt befand sich das Siedlungsgehöft Neu-Schnakeinen sowie die Gebäude in Hoch-Schnakeinen einige Kilometer vom Ortskern entfernt.


Wohnhaus Heske, Kinder, Thiel in Schnakeinen. Deputanten-Haus des Landwirtes Kollien in Schnakeinen. Standort Hofstelle Kollien.
Wohnhaus Heske, Kinder, Thiel in Schnakeinen. Deputanten-Haus des Landwirtes Kollien in Schnakeinen. Standort Hofstelle Kollien.

Lage Hofstelle des Bürgermeister Kollien in Schnakeinen. Von hier aus ging Oma Anna auf den Treck. Es muss Heske nicht Hensel heißen.
Lage Hofstelle des Bürgermeister Kollien in Schnakeinen. Von hier aus ging Oma Anna auf den Treck. Es muss Heske nicht Hensel heißen.

1944: Oma Anna links in Höhe des + Friedhof Schnakeinen. Die Straße aufwärts führte zum Stadtgrund nach Kreuzburg. Rechts stand ihr Wohnhaus auf der Hofstelle Kollien. Links floß der Keygster Fluß.
1944: Oma Anna links in Höhe des + Friedhof Schnakeinen. Die Straße aufwärts führte zum Stadtgrund nach Kreuzburg. Rechts stand ihr Wohnhaus auf der Hofstelle Kollien. Links floß der Keygster Fluß.


 

Die große Flucht setzte ein.

 

Die Einwohner packten ihr Hab und gut zusammen. Sie flüchteten mit Schlitten und zogen mit Fahrrädern über völlig verschneite und eisige Straßen. Sie bemühen sich in Häfen wie Pillau Zum Teil flüchteten sie in Pferdewagen-Kolonnen meist über das zugefrorene Haff. Wehrmachtfahrzeuge und Bataillone verstopfen die Straßen auf ihrem Rückzug in den Westen. Alle werden zu Zielen von Bombenangriffen, während sie sich unter freiem Himmel befinden.

 

Auch Anna folgte dem. Sie packte ihre Sachen auf ein Pferdefuhrwerk. Es war klirrend kalt bis -25 Grad und eine weiße Eisdecke bedeckte das Land, als sie mit Horst (16) auf den Treck ging.

 

In ihren Briefen aus der SBZ von 1946-1952 an den Sohn Ernst berichtet Anna von ihrer Flucht mit Horst und wie sie nach Aue kam. Die Angaben meiner Oma werden durch weitere Fluchtberichte von Schnakeiner und Kreuzburger Einwohnern ergänzt durch Angaben von Fr. Nachtigall aus Neu Schnakeinen, Cousine Erika geb. Dauter aus Schnakeinen. Fritz Klein aus Kissitten. Frau Lierau (Apotheke) aus Kreuzburg.

 

Im bitterkalten Winter 1944/1945 treckten bereits etliche Menschen aus den östlichen Gebieten Ostpreußens in Richtung Westen. Die reale Umsetzung der Durchhalteparolen waren durch das zurücksetzende deutsche Militär von Osten nach Westen widerlegt.

Die russische Armee nahmen Ostpreußen bereits seit Sommer 1944 ein und schlugen deutsche Truppen ohne Pause zurück. Das Städtchen Kreuzburg war überfüllt. Die Straßen des Marktplatzes belagert von Flüchtlingen, ihren Pferdewagen,Gepäck. Der Rückhaltebefehl unter Strafandrohung sich zu entfernen löste diese Stauungen aus. 

Wie aus Fluchtberichten zu erfahren ist führte die Route für viele auch durch den Kreuzburger Stadtgrund und durch Schnakeinen. Man versuchte nach Zinten in Heiligenbeil zu gelangen. Von dort führten verschiedene Wege zum kurischen Haff. Die Leute wollten über das zugefrorene Haff nach Danzig und weiter gen Westen. Viele hofften auf eine Rückkehr.

 

 

Jesaja mag auch Anna getragen haben. Sie schrieb in ihren Briefen immer wieder von der Hoffnung, die Heimat wiederzusehen.


Die Mädchen Kollien Erika & Renate mit dem Hofhund. Daneben Ernst Thiel, ca. 1939


Hof Bechert/Zöllner in Schnakeinen. Der Keygster Fluß ist über die Ufer getreten.
Hof Bechert/Zöllner in Schnakeinen. Der Keygster Fluß ist über die Ufer getreten.
Der Weg sollte von Schnakeinen oder Kreuzburg über Heiligenbeil über das zugefrorene kurische Haff auf die kurische Nehrung führen.
Der Weg sollte von Schnakeinen oder Kreuzburg über Heiligenbeil über das zugefrorene kurische Haff auf die kurische Nehrung führen.

Januar - Februar 1945

Situation Kreuzburg-Schnakeinen


Am 29. Januar spricht der Bürgermeister der Stadt Kreuzburg den dringenden Räumungsbefehl aus. Die wenige Struktur die er darin anordnet wird im Chaos untergehen. Die rote Armee stand direkt vor den Toren der Stadt.  

Räumungsbefehl Kreuzburg Januar 1945
Räumungsbefehl Kreuzburg Januar 1945

 

Fluchtbericht E.H. aus Kreuzburg:

 

Über Kissitten, Schnakeinen, Gr. Labehnen und Glauthienen ging unser Leid nun los. Den ersten Schreck bekamen wir in Glauthienen. Es muss so Mittags um zwölf/eins gewesen sein. Da kamen drei Flieger an; die Sonne schien.

Und ich werde nie vergessen, die Frau Rappuhn, jetzt Frau Keuchel, die war hinter uns auf einem Wagen. Die fragte mich, ob das nun Russenflieger gewesen waren.

 

Ich hatte ja keinen Dunst, aber Werner hatte nun schon mehr Erfahrung durch seinen Arbeitsdienst und sagte, daß das Russen wären.

Und als er ausgesprochen hatte, da fielen schon Schüsse, Maschinengewehr Schüsse und auch kleine Bordkanonen.

 

Ich saß gerade auf dem Wagen von Fritz Lange, wir nannten ihn Liebling. Ein guter Bekannter von mir. Wie ich vom Wagen runter gekommen war, das wusste ich selbst nicht. Jedenfalls merkte ich das etwas um die Ohren rumflog, das müssen wohl Sprengstücke gewesen sein. Und denn war ich unten.

 

Bei diesem ersten Schreck hatten wir drei Tote, auch verwundete. U.a. war nun Militär und Zivil,.. war alles zusammen, soweit das Auge reichte. Vorne und hinten. Die Chaussee war verstopft. Das ging nicht hin, nicht zurück. Das war furchtbar. Und dann nach diesem Schreck gingen wir hin zu einem Bekannten. Ich kannte ja die Bauern da alle von Glauthienen, die auch bei mir zur Kasse kamen mit Milchgeld auszahlen. Und da gingen wir dann, der Werner und ich und die Mutti, wir gingen denn zu einem Bauern der, glaub ich, hieß Blank.

 

Da waren denn deutsche Soldaten, alles junge, nette Menschen die sangen und pfiffen und rasierten sich. Der Radioapparat spielte Märsche. Ich sag, Kinder wisst ihr gar nicht, was eigentlich los ist? Na, sagte der Eine, was soll schon los sein?

 

Da erzählte ich. Och sagte der, dass sind doch kleine Sachen. Das macht uns nichts aus.

 

Na und ich dacht nun so, wie wird das nun werden? Wir gingen dann wieder zur Chaussee und gingen dann noch zum Thiel, das war der Bürgermeister [von Glauthienen] und gaben dann von unseren Sachen da was ab. Das war uns alles zu schwer. Ich bin beinleidend, konnte furchtbar schlecht gehen. Und dann war da so eine große Panzereinheit, die sollte nach Zinten fahren.

 

Werner ging noch mal Rundfunk hören, das gab es dann da auch beim Militär, wie weit die Front war u.s.w., wir waren ja interessiert.

Wie ich die Sachen bei dem Thiel abgab, bei dem Bürgermeister, da sag ich: Hör mal, wenn wir wieder zurück kommen... Wir waren ja nun im Glauben, das kann ja nicht sein... , da sagte der Thiel, der auch gleichzeitig Bürgermeister war, du hör mal, ich habe eben Befehl bekommen: Um vier muss ich Glauthienen räumen. Das war seine Gemeinde.

 

Denn auf der Chausse die nach Zinten geht, sollten die Kanonen da aufgefahren werden und dann sollte über Glauthienen geschossen werden. Ob das nun eingetroffen ist, weiß ich nicht.

 

 

Kreuzburg Luftaufnahme um 1936_Der Marktplatz bildet ein Viereck in der Mitte der Stadt
Kreuzburg Luftaufnahme um 1936_Der Marktplatz bildet ein Viereck in der Mitte der Stadt
Kriegerdenkmal, Marktplatz Mitte Kreuzburg
Kriegerdenkmal, Marktplatz Mitte Kreuzburg
Wegweiser in Kreuzburg auf dem Marktplatz. Flüchtende aus
Wegweiser in Kreuzburg auf dem Marktplatz. Flüchtende aus
Stadtgrund Kreuzburg: Hier war der Sammelpunkt der Bevölkerung zur Flucht. Sie sollte geführt und damit geordnet durch deutsches Militär ablaufen. Es kam anders. Die Situation muss chaotisch gewesen sein.
Stadtgrund Kreuzburg: Hier war der Sammelpunkt der Bevölkerung zur Flucht. Sie sollte geführt und damit geordnet durch deutsches Militär ablaufen. Es kam anders. Die Situation muss chaotisch gewesen sein.
Durch hügelige Landschaft ging es von Kreuzburg hinab in den Stadtgrund. Ein Wäldchen, das vom Keygster durchflossen wurde, mit Ausflugslokal
Durch hügelige Landschaft ging es von Kreuzburg hinab in den Stadtgrund. Ein Wäldchen, das vom Keygster durchflossen wurde, mit Ausflugslokal
Stadtgrund mit Keygster. Im Hintergrund die Kirche von Kreuzburg
Stadtgrund mit Keygster. Im Hintergrund die Kirche von Kreuzburg
Ausflugslokal im Stadtgrund
Ausflugslokal im Stadtgrund

Am 5. Februar war es für die Schnakeiner Bevölkerung bereits sehr gefährlich. Frau Nachtigall berichtet. Sie war die Ehefrau des Landwirtes 

Unsere Flucht aus Neu Schnakeinen am 05. 02. 1945 begann besonders dramatisch, weil unser zum Teil schon vollbepackter Treckwagen kurz vor der Abfahrt durch Fliegerbomben in Brand ge­riet.Durch das Dorf gingen schon über Tage Flüchtlingstrecks nach Westen.

 

 

  1. Unsere Flucht aus Neu Schnakeinen

 

Anna Nachtigall (niedergeschrieben im Oktober 1995)

 

Unsere Flucht aus Neu Schnakeinen am 05. 02. 1945 begann besonders dramatisch, weil unser zum Teil schon vollbepackter Treckwagen kurz vor der Abfahrt durch Fliegerbomben in Brand ge­ riet. Also wurde schnell umgepackt und gerettet, was noch zu retten war. Dann verlieBen wir die Heimat mit zwei Wagen. Einer, der mit einem kleinen Trecker bespannt war, wurde von meinem Mann gefahren, der andere mit zwei Pferden bespannte Wagen wurde von Herrn Tischtau gefahren. Wir waren folgende Personen: Mein Mann, seine Mutter und seine Schwagerin Hildegard Nachtigall (die Witwe des gefallenen Hotbesitzers Kurt NachtigaU) mit jahriger Tochter, unsere beiden Kinder (2 und 4 Jahre alt), meine kranke Mutter, Herr Tischtau, Frau Schirrmacher, Herr Schirrmacher und ich. (Hildegard verlieB nach wenigen Tagen unseren Treck. Sie hatte Gelegenheit, mit ihrer Tochter auf einem Militarwagen mitzufahren und dadurch schneller zu ihren Eltern nach Dresden zu kommen).

 

Kurz vor unserer Flucht waren aus Uderwangen zwei Schwestern meines Mannes nach Neu Schnakeinen gekommen, um sich mit ihrem Treckwagen uns anzuschlieBen: Grete Kramer geb. Nachtigall (hochschwanger) hatte ihre 2 Kinder mit. Sie hat dann auf der Flucht in Danzig entbunden; ihre ledige Schwester Betty blieb immer bei ihr.

 

Elsbeth Paul geb. Nachtigall (auch schwanger) hatte ihre 3 Kin­ der - das alteste knapp 6 Jahre alt - mit. Sie hat entbunden, nachdem sie im Sommer wieder nach Uderwangen zuriickgekommen war. (Alle drei Schwestern sind im Sommer 1945 nach Uderwangen zu­ riickgefahren und dann dort ebenso wie die beiden Neugeborenen kurz nacheinander umgekommen. So blieben die 5 kleinen Kinder zunachst mutterseelenallein, muBten sich selbst was EBbares und Brennmaterial suchen; schlieBlich kam ein LKW, der sie in ein Heim in Konigsberg brachte. Dort starb die jiingste Tochter von Grete an Typhus. Die anderen Kinder blieben im Heim, bis sie spater in die DDR ausgesiedelt wurden.

 

Als wir Neu Schnakeinen verlieBen, herrschte starker Frost, und die StraBen waren tiefverschneit. Die meiste Zeit gingen wir Erwach-

 

senen zu FuB, um den Kindem und Schwachen den Platz auf den Wa­ gen zu tiberlassen. -Ober Dingwalde-Zinten-Heiligenbeil kamen wir an das Frische Haff. Weiter ging es tiber das Eis des zugefrorenen Haffes zur Frischen Nehrung und schlieBlich bis Danzig.

 

Unsere Flucht ging zunachst weiter bis nach Pommern. Vor Stolp holte uns die Front ein. Es kam zu -Obergriffen der sowjetischen Truppen gegentiber Frauen und Mannern. Herr Schirrmacher, Herr Paul (Schwiegervater meiner Schwagerin Elsbeth) und ein uns frem­ der Mann wurden von sowjetischen Soldaten erschossen. Andererseits kam es auch wiederholt vor, daB russische Soldaten unseren Kindern den Kopf streichelten und ihnen StiBigkeiten zusteckten.

 

Auf einem von Polen verwalteten Gut in Pommern endete unsere Flucht. Bis zur Rtickkehr nach Ostpreuj3en im Sommer 1945 blieben wir dort und fanden eine Bleibe bei der Familie des Gutsgartners, der eine Tochter in meinem Alter hatte. Von den Polen hatten wir hier nichts zu leiden, sie haben uns sogar vor -Obergriffen der Soldaten geschtitzt. Wenn wir auf der DorfstraBe horten, daB sich randalierende Sowjetsoldaten naherten, liefen wir (die Tochter des Gartners und ich) schnell zu unseren Verstecken. Wir nachtigten meistens im groBen Garten hinter groBen Strauchern (im Marz!) oder wurden auf hohen Strohbergen versteckt, die Leitern von unseren Mannern schnell wieder entfernt. Von den Polen wurden wir auch afters mal ins Gutshaus gelassen. Es wurden Posten aufgestellt und wir hatten mal eine ruhige, warme Nacht.

 

Auf dem Gut wurden wir zu Arbeiten in der Landwirtschaft ein­ gesetzt und hatten dadurch auch einigermaBen ausreichend zu essen. Im Juli 1945 hieB es dann, die aus OstpreuBen stammenden Deut­ schen konnten wieder in ihre Heimat zurtickgehen. Das entsprach auch eigentlich unserem Wunsch; denn wir wuBten ja nicht, wie es dort aussieht und was uns erwartet. Wir wollten wieder nach Hause und ein Sttickchen Acker bestellen. Der polnische Verwalter warnte allerdings meinen Mann, nach Osten zurlickzugehen. Dennoch machten wir uns mit der wenigen Habe, die uns noch verblieben war, teils zu FuB, teils mit Gtiterztigen in offenen Waggons auf den Rtick­ weg, der mit vielen, vielen Schwierigkeiten verbunden war. In

 

Danzig gelang es uns nach etlichen vergeblichen Bemlihungen, meine schwerkranke Mutter in einem Krankenhaus unterzubringen. Uber ihr weiteres Schicksal wissen wir aber nichts.

 

Wir kamen also Anfang Juli 1945 von Stolp/Lauenburg wieder nach Kreuzburg zurtick. Das waren nun noch Frau Schirrmacher, Herr Tischtau, die Mutter meines Mannes, mein Mann. unsere beiden Kinder und ich. Im offenen Gtiterzug kamen wir bis vor Konigsberg; genau 7 Tage waren wir auf dieser Strecke unterwegs. Nun stand uns ein langer FuBmarsch bis nach Kreuzburg bevor. Es war furchtbar! Unterwegs bauten die Manner eine Karre zusammen aus zweierlei Radern, aber sie rollte. Darauf setzten wir die Kinder und so kamen wir in Kreuzburg bzw. Schnakeinen an. Die WeiBe Brticke erreichten wir so um Mitternacht, es war nicht sehr dunkel. An der Apostoli­ schen Kirche standen zwei Wachposten, hielten uns an und fragten, wohin wir wollten; wir sagten: ,,Nach Hause." Sie lieBen uns weiter­ ziehen. Nun sahen wir, daB das Schirrmachersche Haus stand; dort gingen wir hinein, alles war kaputt, ausgeraumt, keine Fenster! Wir gingen dann in den Keller. Dort stand das Wasser bis zu den Kno­ cheln. Der Schutt wurde beiseite geraumt und jeder schaffte sich sein Platzchen zum Schlafen. Es waren auch einige ruhige Stunden, die wir notig hatten.

 

Anderentags zogen wir dann weiter, Frau Schirrmacher und Herr Tischtau blieben in Kreuzburg (nachdem wir nun jeder seinen Weg flir sich machten, habe ich sie nur noch zweimal gesehen; spater horte ich dann, daB sie verstorben seien). Niemand behelligte uns. Wie sah unser Stadtchen bloB aus!? Ruinen noch und noch. kahle Schornsteine ragten gespenstisch gen Himmel.

 

Kurz vor dem Stadtgrund tiberholte uns ein rasender Leiterwa­ gen, besetzt mit vielen Frauen. Es kam Freude auf, ein Winken... . Einige Gesichter waren uns bekannt, und wir waren froh, daB uns dieses Gefahrt tiberholt hatte.

 

In Schnakeinen angekommen, fanden wir Unterschlupf bei der Familie Samland. Dort waren dann auch Frau Siefert geb. Kuhn mit Tochter und deren Schwester, Frau Marklein geb. Kuhn aus Tiefen­ thal. Hier erfuhren wir nun, daB noch einige einheimische Familien (d.h. ohne Manner) im Dorf waren. So Frau Veith u. 3 Tochter, Ehe-

 

paar Zollner u.a. Nachts versteckte uns Herr Samland im Rtibenkeller unterm Haus, sobald wir Pferdegetrampel horten. Anfangs war mein Mann noch bei uns, doch bald wurde er von Russen abgeholt und nach Pr.Eylau ins Lager gebracht. Nach ein paar Tagen kam er wieder zu uns zurtick.

 

Die Kinder schickten wir mit kleinen GefaBen nach Porschkeim, um Suppe zu holen; denn dort lag Militar, und sie bekamen auch immer etwas. Nach ein paar Tagen horte das aber auf; denn der Weg war ftir die kleinen Kinder zu weit. Sie konnten und wollten auch nicht mehr. Zu der Zeit fanden wir noch viel EBbares an Eingemach­ tem, Kartoffeln usw. in fremden Kellern.

 

Es waren unter uns viele fremde Leute, groBartig bekanntmachen wollte man sich auch nicht, jeder hatte mit sich und den Seinen zu tun. Spater kamen alle, die dort wohnten, nach Kissitten (Frtihjahr 1946). Dort wurde dann kleine Landwirtschaft gemacht, alles muBte ran. Mittlerweile war unser Haufen noch groBer geworden.

 

Wir waren gerade beim Dreschen und mein Mann wurde ein zweites Mal abgeholt und ich wuBte nicht, wohin sie ihn bringen wtirden. Monatelang kein Lebenszeichen von ihm; dann erfuhr ich, daB er in Pr.Eylau im GPU-Keller saB (dort hat er tibrigens auch Sieglinde Saager gesehen) und spater dann dort im Lager war. Man hatte ihn bei der GPU dazu zwingen wollen, unzutreffende beschuldi­ gende Aussagen (Parteizugehorigkeit) gegen Herrn Honig-Moritten zu machen, was mein Mann entschieden abgelehnt hat; denn Herr Honig war nie in der NSDAP. In dieser Zeit starb auch die Mutter meines Mannes, ich habe sie auf dem Kissitter Friedhof beerdigt.

 

 

 

 

 

Lage am 4. Februar 1945 im Raum Kreuzburg

 

 

 

Die Nacht zum 4.2.45 verlief ruhig. Die frühen Morgenstunden brachten starken Gefechtslärm. Um 10.00 Uhr griff der Feind in Stärke von etwa 300 Mann rechts und links der Straße Kreuzburg - Arnsberg zu den erwarteten Angriff auf Kreuzburg an. Dank der umsichtigen Führung von Leutnant Dru. war es möglich, unsere Stellung trotz starken Beschusses vor allem durch Pak, Granatwerfer und Stalinorgeln zu halten. Ein Einbruch der Russen gelang beim rechten Stützpunkt am Bahnhof Kreuzburg um 08.30 Uhr.

 

 

 

09.30 Uhr - Mit Beginn des Tages wurde der Gefechtslärm sehr stark, vor allem durch Stalinorgeln auf Kreuzburg. Die Meldungen der Kompanie ergaben bald ein Bild, das auf einen erneuten Angriff der Russen schließen ließ. Um 09.30 Uhr trat der Gegner beim rechten Nachbar zum Angriff an. Da er zwischen Bahnhof und der Stadt Kreuzburg nicht recht vorwärts kam, dehnte er seinen Angriff nach links aus, und näherte sich unseren Linien mit etwa 120 Mann, die durch fünf Panzer T-34 unterstützt wurden. Durch das ungünstige Gelände, war es uns und unserer 8,8-cm Flak nur möglich, auf kürzeste Entfernung zu schießen. Der Angriff der Russen brach um 11.00 Uhr zusammen, und der Russe zog sich langsam bis zum Bahnhof zurück. Alle sowj. Panzer wurden vernichtet.

 

 

 

15.30 Uhr - Die Wetterlage erlaubte nur geringen Einsatz der fdl. Luftwaffe. Um 15.30 Uhr griff der Russe, nach starker Feuervorbereitung auf breiter Front an und erzielte einen größeren Einbruch in Kreuzburg. Die Situation um 16.30 Uhr, Schwerstes mehrstündiges Artillerie-Trommelfeuer unterstützte die sowj. Kampfhandlungen. Es war damit zu rechnen, dass der Feind am 4. Februar seine Angriffe auf Kreuzburg, unter Hinzuziehung weiterer und bisher zurückgehaltener schneller Verbände fortsetzen wird. Die mit Panzern geführten Angriffe bringen den Sowjets am 4. Februar um 18.00 Uhr an mehreren Stellen tiefe Einbrüche.

 

 

 

17.00 Uhr - Kreuzburg zum größten Teil von den Russen genommen. Dieser Einsatztag am 4.2.45 im Abschnitt Kreuzburg war auch der letzte Tag. Am späten Abend verlässt unsere Kompanie diesen Raum, und verlegt weiter nach TiefenthaI - Cavern.

 

 

 

Verluste: 1 0ffz., 5 Uffz., 21 Mann.

 

 


Anna: Strecke bis zum Haff

Oma Anna schließt sich den Trecks an. 

Es herrschte starker Frost und die Straßen waren tief verschneit. Die meiste Zeit gingen wir Erwachsenen zu Fuß, um den Kindem und Schwachen den Platz auf den Wa­gen zu überlassen. Über Dingwalde-Zinten-Heiligenbeil kamen wir an das Frische Haff. Weiter ging es über das Eis des zugefrorenen Haffes zur Frischen Nehrung und schließlich bis Danzig.

Aus: Fluchtbericht Anna Nachtigall_Neu-Schnakeinen

 

 

 

Von Danzig nach Stolpmünde

Stolpmünde, heute Ustka.
Stolpmünde, heute Ustka.


Anna´s Fluchtroute: 

  • Anna´s Wohnsitz Hof Kollien in Schnakeinen bei Kreuzburg, Kr. Pr. Eylau → Dingwalde – ca. 12 km
  • Dingwalde → Zinten – ca. 25 km
  • Zinten → Heiligenbeil – ca. 18 km
  • Heiligenbeil → Danzig (Gdańsk) – ca. 120 km - Weg über das zugefrorene Frische Haff
  • Danzig → Stolpmünde (Ustka) – ca. 100 km - heute Gdingen und Ustka
  • Gesamtstrecke ca. 175 Km - 225 km bei  tagsüber -25 ° mit eisigen Winden und Beschuß aus der Luft.
  • Dauer → ca. 10 - 14 Tage. Wahrscheinlich aber noch viel länger.

Dem Treck gehörten weitere Familien des Dorfes an. Familie Nachtigall folgte bis Stolp. Andere versuchten es über Braunsberg und schlossen sich den sich zurückziehenden deutschen Truppen aus dem Osten an. Viele Schicksale der Dorfbewohner bleiben ungeklärt.

 

Die Route führte über Feldwege und Landstraßen, die durch die vielen Flüchtlinge und die ebenfalls flüchtende Wehrmacht und militärisches Gerät verstopft waren. Bei Heiligenbeil setzte man aufs zugefrorene über. Wahrscheinlich gelangte Anna über Neukrug (heute polnisch Piaski) zum Haff, da es mit 400 Metern Entfernung von dort die geringste Breite zwischen Festland und Haff hatte. Tiefflieger erschwerten das Entkommen. Ein Kugelhagel ging auf die flüchtenden Menschen herunter, sie waren völlig schutzlos. 

 


Situation Stolp-Stolpmünde

Erlebnisbericht des früheren Superintendenten von Stol p i. Pom., Otto Gehrke.

Beglaubigte Abschrift, 7. März 1950.

Auf den einleitenden Seiten wird ein Überblick über die seelsorgerische Tätigkeit des Vfs. in Stolp gegeben.

Mitte Januar 1945 kamen die ersten „Flüchtlinge” aus Ostpreußen nach Stolp, es waren Menschen aus den Gebieten um Tilsit. In wohlgeordneten Transporten mit Eisenbahn kamen sie an und hatten auch reichlich Gepäck mitnehmen können. Sie wurden in Stolp und in den umliegenden Dörfern einquartiert und von den Bewohnern meist gern und willig aufgenommen. Dann aber setzte Ende Januar 1945 der große Flüchtlingsstrom ein aus Ost- und Westpreußen. In ununterbrochener Folge zogen die Wagen und Schlitten bepackt mit der mitgenommenen Habe der Flüchtlinge und mit Frauen und Kindern, auf den Chausseen durch Städte und Dörfer immer weiter nach Westen. Ein Elendszug erschütterndster Art war es. Müde, abgetriebene Pferde vor den Wagen, frierende, kranke und verzweifelte Menschen auf den Wagen oder neben den Wagen hergehend, über die Wagen als Schutz Teppiche und Pläne gespannt, so zogen sie in nie abreißender Folge weiter, immer weiter nach demWesten. An Straßenkreuzungen mußte meist gehalten werden. Dort gaben Polizeibeamte ihnen die Richtung an, wohin sie weiter fahren sollten. In der Nähe unseres Pfarrhauses an der Wilhelmstraße war solch eine Wegkreuzung. Von den haltenden Trecks kamen Frauen und Kinder in unser Haus, baten um heißen Kaffee oder heiße Milch oder um die Möglichkeit, sich Speisen aufwärmen zu können. Willig und gern wurde ihnen ihre Bitte erfüllt.

Andere Frauen und Kinder gingen während der Haltepause der Trecks in Geschäfte und kauften Brot und andere Lebensmittel. Dabei kam es häufig vor, daß sie zurückkommend ihre Wagen und Angehörigen nicht mehr fanden. Inzwischen mußte die Wagenkolonne in verschiedenen Richtungen weiterfahren, ohne Rücksicht auf die Bitten der Wagenlenker, so lange zu warten, bis die Angehörigen zurück waren. So kam es, daß viele ihre Kinder und Frauen verloren, weil niemand diesen sagen konnte, in welcher Richtung ihr Wagen weitergeleitet worden war.