In den Einwohnerlisten des Samlandes befinden sich Fluchtberichte, die hier eingestellt werden.
Wischehnen: Am 01. Februar 1945, mittags 12 Uhr, verließen mein Mann, meine Mutter und ich unseren Hof in Wischehnen, um nach Germau auszuweichen. Unterwegs erfuhren wir, dass der Russe schon den Weg abgeschnitten hatte und wir machten kehrt und fuhren zurück bis Compehnen, da Wischehnen schon unter Beschuß lag. Als wir den Hof verließen, hatten wir den ersten Toten auf dem Hof, der im Garten noch von uns beigesetzt wurde. Es war ein Gefreiter Namens Gottlieb oder Gottfried Krause, 19 Jahre alt. In Compehnen blieben wir bis zum 05.02.1945 und fuhren am Abend nach Sanglienen weiter, da der Beschuß auch auf Compehnen ausgedehnt wurde und für Bomber der Himmel voller Leuchtmunition war. Als auch in Sanglienen die ersten Bomben fielen, fuhren wir weiter nach Tenkitten. In Tenkitten blieben wir bis zum 15.04.1945. Da griff der Russe mit Bomben die Verstärkerstation an, so dass wir auf dem Hofe meines Schwagers Klehn auch nicht mehr bleiben konnten. Wir suchten darauf hin Schutz im Lochstedter Wald. Aber überall lagen Munitionsstapel. Sodaß die Wehrmacht uns nicht erlaubte, zu Halten. Endlich glaubten wir einen Platz gefunden zu haben, als durch Sprengstücke mein Mann an der Schläfe und ich am linken Oberarm verwundet wurden. Fanden dann ein kleines Erdloch, in dem meine Mutter, meine Schwägerin Frau Klehn, Georg Potreck mit Frau und 13jährigem Sohn, mein Mann und ich den Abend erwarteten. Wollten dann bei Dunkelheit nach Tenkitten zurück. Durch umgefallene Bäume war der Weg aber versperrt und wir mussten in einen Bunker, in dem 4tsd Liter Benzin lagerten und der von Soldaten bewacht wurde, übernachten. Am nächsten Morgen, als die Straßensperren beseitigt waren, durften wir nicht nach Tenkitten zurück fahren, sondern wurden zur Burg Lochstedt gewiesen. Der erste Keller, in den wir verwiesen wurde, war geradeaus, war so überfüllt, dass niemand umfallen konnte. Mein Mann sprach dann mit dem Hauptmann und er erlaubte uns, den Keller links aufzusuchen. Dort saßen wir hinter einem Pfeiler zwischen Soldaten. Als die ersten Bomben fielen ging das Licht aus und die Soldaten verließen den Keller. Da es dann ohne Soldaten zu unheimlich wurde, sprach ich den Hauptmann und erhielt dann die Erlaubnis für alle, den rechten Keller der Burg aufzusuchen. Als wir über den Burghof gingen sah ich, dass die Kirche brannte und schon zum Teil eingestürzt war. Die brennenden Balken lagen auf dem hof und am Wall an der Haffseite. Wie ich in den Keller gekommen bin weiß ich heute nicht mehr zu sagen. Es war grauenvoll. Der Keller war angefüllt von Verwundeten. Ärzte und Sanitäter waren nicht mehr da. Es war am 22.04.1945, zweieinhalb Uhr, als ein Masure die Burg den Russen übergab.
Die Verwundeten mussten alle auf den Burghof, wir Zivilisten mussten über bzw. durch die zerstörte Mauer auf die Haffwiese. Über schwelende Balken hinweg sind wir mehr gefallen als gelaufen, da der Russe hinter uns her war. Die Plünderung rechtfertigte der Russe, natürlich in deutscher Sprache, mit dem Hinweis darauf, dass um die Burg so viel Russen gefallen waren. Immer wieder fragten sie, ob wir die toten Russen auch gesehen hätten.
Mein Mann und Potreck mussten ihre Stiefel ausziehen. Mein Mann meinte, dass alle Verwundeten erschossen worden sind, denn wir hörten lange ununterbrochenes Maschinengewehrfeuer. Zwei Soldaten hatten sich uns Zivilisten angeschlossen. Von jedem Russen, an dem wir vorbeikamen, bekamen die Soldaten mit dem Kolben eins ins Kreuz, bis sie nicht mehr aufstehen konnten. Wir mussten zu Fuß über aufgeweichten von Panzern zerfahrenen Acker in Richtung Fischhausen bis zur Carlshöfer Scheune. Dort machten wir zum ersten male Halt. Die Scheune war mit Russen belegt und sie luden uns zu einem Mehlgebäck ein. Es war eine Falle. Es dauerte nicht lange, da kam ein Lastauto der GPU und wir mussten alle aufsteigen und es ging nach Geidau. Mein Mann und Potreck kamen dort in den Keller. Wir übrigen durften gehen wohin wir wollten. Ich erbat mir von einem Russen die Schlüssel, die mein Mann bei sich hatte, erhielt sie auch, hatte sie aber als ich mit den Verwandten nach Wischehnen kam nicht mehr nötig, da das Haus offen und geplündert war.
Es sah schrecklich aus. Ledermöbel abgezogen, Betten aufgeschlitzt und alle Möbel über den Haufen geworfen. Mußten auch hier gleich wieder flüchten, da der Russe uns belästigte. Haben dann acht Tage in einem Erdloch auf dem Kaller Feld gehaust. Auch hier wurden wir bald von den Russen entdeckt und belästigt. Selbst meine damals 80jährige Mutter wurde nicht verschont. Der Revolver des Russen lag immer an der linken Kopfseite, damit er ihn immer zur Hand hatte. Wir sind dann zur Hauptstraße Pillau – Königsberg gegangen, wo wir in einen großen Zug Flüchtender kamen, der von den Russen getrieben wurde. Mit diesem Treck bin ich mit meinen Angehörigen dann bis Juditten getrieben. Dort fand ich dann nach acht Wochen meinen Mann. Er war nach etwa eineinhalb Stunden aus dem Keller entlassen worden, weil ein Geidauer ihn entlastet hatte. Er hatte den Russen klar gemacht, dass mein Mann im Ka (Lager b. Ponath Anfang 30iger) gesessen hatte und kein Pg gewesen war. Nach seiner Freilassung ging mein Mann nach Wischehnen zurück weil er glaubte mich dort zu finden. Dort wurde er wiederholt verhaftet und wieder freigelassen. Nach seiner 6. Verhaltung ging er wieder nach Wischehnen zurück, fand aber nichts mehr vor. Das Wohnhaus war auch abgebrannt. Daraufhin ging mein Mann nach Norgau zu unserem ehemaligen Schmied, der dort gesiedelt hatte. Eines Tages ging er doch nach Wischehnen zurück, um für uns Kartoffeln auszulegen. Auf dem Hof traf er einen Instmann von uns, den man aus dem Lager Rothenstein entlassen hatte. Von diesem erfuhr mein Mann, dass Frau Thurau, die Cousine meines Mannes, in Seerappen war. Mein Mann machte sich auf den Weg dorthin und erfuhr dann, dass ich mit meiner Mutter, Frau Potreck und dem Kind in Juditten war. So fand mein Mann mich dann wieder. Leider konnte er die Ausweisung nicht mehr erleben. Seine Gesundheit war durch die Mißhandlung und den Hunger sehr geschwächt. Von den sieben Angehörigen, mit denen ich diese grausamen Erlebnisse teilen musste, bin ich als Einzige der Hölle entronnen. Mein Mann und Willi Klehn waren am 07.02.1945 in Lochstedt um nach den Sachen von Klehns zu sehen die dort in der Burg untergestellt waren. Die Sachen waren alle geplündert. Auch fand man sie nicht mehr. (Editha Stier geb. Scharfschwerdt)